Das Projekt iBaMs analysiert die Möglichkeit der Entwicklung von behindertenkompatiblen Bedienterminals für CNC-gesteuerte Produktionsbereiche, mit denen sich die Arbeitsschritte geistig behinderter Menschen ebenso unterstützen wie überprüfen lassen.
Die Analyse findet konkret mit folgenden Methoden in einer Werkstatt für behinderte Menschen statt: Offene Befragung, Workshops zu Nutzerverhalten und -bedürfnissen. Betrachtet werden sowohl die Nutzerperspektive der Behinderten als auch die Wirtschaftlichkeit der Werkstätten.
Um was geht es?
Laut Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung leben in Deutschland gegenwärtig rund 8,6 Millionen Menschen mit Behinderung, die Hälfte von ihnen im erwerbsfähigen Alter (vgl. Revermann/Gerlinger 2010: 6). In bundesdeutschen Werkstätten arbeiten derzeit 230.384 Menschen mit geistiger Behinderung (vgl. BAG: WfbM 2011). Arbeit von Menschen mit Behinderung ist somit kein Minderheitenthema, sondern eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe. Gleichzeitig gewinnen Gesundheits- und Pflegeberufe, bei denen es auch um die Arbeit und das Wohnen von Behinderten geht, gesellschaftlich und wirtschaftlich an Bedeutung.
Ursachen für einen zukünftig steigenden Technik- und Pflegebedarf für diese Zielgruppe sind der demographische Wandel sowie der medizinisch-technische Fortschritt. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen, bei denen es auch um die über Mensch-Technik-Interaktionen vermittelte Erschließung und Nutzung der Potenziale und Kompetenzen geistig behinderter Menschen geht. Dies kommt der Gesellschaft insgesamt (in Form zusätzlicher Arbeitskräfte) und den Behinderten selbst (in Form sozialer Teilhabe und Anerkennung) zugute. Während Körper-, Lern- und psychisch Behinderte schon lange von Arbeitsperspektiven durch neue Technologien profitieren (vgl. Griesinger 1988: 28) und eLearning zu Beginn der 90er Jahre gerade auch für körperlich Behinderte entwickelt wurde, waren die arbeitsbezogenen Bedürfnisse von geistig Behinderten bislang nur begrenzt Anlass für technische Innovationen. So ist beispielsweise Medienarbeit mit geistig Behinderten der schwierigste Bereich einer umfassenderen Medienarbeit mit Behinderten (vgl. Lutz 2003). Im Kontrast zu computergestützten Bürotätigkeiten bestehen allerdings gute Beschäftigungsmöglichkeiten in denjenigen Produktionsbereichen der WfB (Werkstätten für Behinderte), in denen bereits computergesteuerte Arbeitsmittel wie CNC-Maschinen oder Industrieroboter eingesetzt werden (Kim 2004: 40).
Dies ist auch beim Projektpartner, dem CVJM-Sozialwerk Wesermarsch der Fall. So werden etwa in der Metallverarbeitung CNC-gesteuerte Hochleistungs-Bearbeitungsautomaten sowie konventionelle Maschinen eingesetzt. Die Produktpalette reicht von Entgratungsarbeiten an einfachen Bauteilen bis zu CNC-gefrästen Präzisionsteilen, beispielsweise für Elektromotoren. Ziel von iBaMs ist es in diesem Kontext, auf der Ebene der Mensch-Technik-Interaktion barrierereduzierte Technikkonzepte und Best-Practice-Beispiele für die in den Werkstätten des CVJM-Sozialwerk Wesermarsch arbeitenden geistig behinderten Menschen zu konzipieren und deren praktische Entwicklung und Einsatz im Rahmen eines umfassenden Verbundprojektes vorzubereiten. Für die Arbeitsbedingungen von geistig Behinderten ist der Einbezug ihrer Nutzerperspektive sowie eine Perspektive von “Guter Arbeit” dabei zwingend erforderlich (BMAS 2011; Kubek 2012; Weber 2012). Die Entfaltung der subjektiven und arbeitsbezogenen Potenziale dieser Menschen lässt sich nur über gute und förderliche Arbeitsbedingungen im Verein mit sozialer Anerkennung in der Arbeit erzielen.
Neben den darin enthaltenen ethischen Aspekten ist dies gerade auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine dringliche Aufgabe. Gleichzeitig existiert durch die neuen Möglichkeiten der Verbindung von Mensch und Technik auch auf der wirtschaftlichen Seite noch ein erheblicher Spielraum, um die Wertschöpfung von Werkstätten für behinderte Menschen etwa auf der Ebene der Geschäftsprozessoptimierung und der Rationalisierung von Arbeitsabläufen weiter zu steigern. Mit unserem anwendungsorientierten Projekt iBaMs verfolgen wir einen Ansatz, der vor dem Hintergrund des demographischen Wandels die Nutzerperspektive geistig behinderter Arbeit mit dem Modernisierungsbedarf und der Wertschöpfungseite von Werkstätten für behinderte Menschen verschränkt. Da insbesondere bei geistiger Behinderung das Benennen und der Einbezug einer Nutzerperspektive besonders schwierig und zeitaufwendig sind und Kreativität, Flexibilität sowie gelegentliche Umwege erfordert, wird dies im Arbeits- und Zeitplan des Projektes besonders berücksichtigt.
Zusammengefasst sind somit folgende Verwertungsziele im Folgeprojekt angestrebt:
Welche Schwerpunkte sind relevant?
Wie muss eine Benutzerschnittstelle beschaffen sein, damit sie dem Erfahrungshorizont eines geistig Behinderten zugänglich wird?
Auf welche Wahrnehmungskanäle sprechen geistig Behinderte am besten an, wie kann das in einem Arbeitsprozess genutzt werden?
Inwieweit lassen sich Steuerungen über Bildschirmarbeitsplätze mit Touchscreen ausführen, welche Größe müssen diese Touchscreens haben?
Wie viele und welche Symbole, Knöpfe, Farben, Fotos, Gestensteuerungselemente und akustische Signale darf ein Display haben, damit es von der Zielgruppe zu bewältigen ist? Was wird jeweils am besten wahrgenommen?
Welche technischen Hilfestellungen sind für geistig Behinderte bei Problemen im Arbeitsprozess möglich und nötig?
Mit der Konzentration auf die Entwicklung von MTI (Mensch-Technik-Interaktion) für in Werkstätten arbeitende geistig Behinderte schließt das Projekt iBaMs eine auffällige Forschungslücke zum Zusammenhang von MTI und demographischem Wandel. Der Dialog mit Partnern aus der Wirtschaft (KMU) ist dabei durch die frühzeitige Einbindung und Mitarbeit des CVJM-Sozialwerk Wesermarsch bereits von Beginn an gesichert. Aktuell betreut das CVJM-Sozialwerk Wesermarsch insgesamt 370 behinderte Menschen. In den Werkstätten arbeiten insgesamt 220 betreute geistig Behinderte, in der Metallverarbeitung derzeit 25 (Bedienung, Wartung). Geistige Behinderung ist dabei real oft ein Mix aus geistig und körperlicher Behinderung, bei z.T. extrem unterschiedlichen körperlichen Bedingungen.
Trotz dieser Heterogenität bewegen sich viele Werkstätten für geistig Behinderte allerdings in oft ähnlichen Geschäftsfeldern, weshalb wir – konträr zu bisherigen wissenschaftlichen Auffassungen, die dies etwa für körperlich behinderte Menschen so formulieren (vgl. TAB 2009: 10) – die These vertreten, dass die behinderungskompensierende-Technologien-Nachfrage auf Basis der Ergebnisse von iBaMs und ihrer Umsetzung in einem Verbund zukünftig weniger zersplittert und übersichtlicher gestaltet werden kann.
Gleichzeitig ist die Wertschöpfung von Werkstätten für behinderte Menschen bislang durchaus begrenzt. So existieren in der Geschäftsprozessoptimierung noch erhebliche Spielräume, in denen die Messung der Arbeitsproduktivität optimiert werden kann. Schließlich kann auch die Wertschöpfung der Werkstätten pro Kunde noch genauer ausgerechnet werden.
Wie es der Leiter des CVJM-Sozialwerk Wesermarsch zusammenfassend formuliert: “Welcher Auftrag für welchen Kunden ist wertschöpfend?” Im Unterschied zur Industrie extistiert in den Werkstätten für geistig behinderte Menschen somit noch ein erhebliches Rationalisierungspotential – nicht im Sinne von Arbeitsplatzabbau, sondern als Steigerung von Wertschöpfung und Produktivität, was den Behinderten unmittelbar selbst zugute kommt: je produktiver eine Werkstatt, desto höher auch deren Gehalt. Mit unserer Vision der Hebung, Entwicklung und Anerkennung des Arbeitskräftepotentials von geistig behinderten Menschen in Verbindung mit Technik ließe sich damit gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels durch demographischen Wandel ein wichtiger Nachweis dafür bringen, dass geistig Behinderte in Verbindung mit Technik ein hohes, auch ökonomisch relevantes Arbeitspotential besitzen.
Nicht vergessen werden darf dabei, dass geistig behinderte Menschen unterschiedlichsten Arbeitsanforderungen gegenüber stehen, dass Werkstätten für geistig Behinderte hochspezialisierte Einrichtungen sind, und die Arbeitspakete auf viele kleine Schritte heruntergebrochen werden müssen. Obwohl ein geringer Autonomiegrad Menschen mit geistiger Behinderung dabei Grenzen in der Arbeit setzt, unterstützt Automatisierung bzw. teilautomatisierter Technikeinsatz dieses “Runterbrechen”, bevor u.U. eine ganz andere Grenze erreicht wird: die schnellere Abnahme der Leistungsfähigkeit von Behinderten, z.B. durch einen schnelleren Alterungsprozess (etwa beim Down Syndrom).
Meilenstein | Beschreibung/Ergebnisse | |
---|---|---|
M1 | Entwicklung der Evaluationsstrategie (AP 3.1) für die Anforderungsanalyse bis zum 28.02.2014 abgeschlossen | |
M2 | Technischer Aufbau der Kollaborationsplattform (AP 1.4) bis zum 31.03.2014 abgeschlossen. | |
M3 | Auswertung Interviews mit Produktions- und Werkstattleitung (AP 2.1) bis zum 31.03.2014 abgeschlossen. Grobanalyse des Ist- und Sollzustandes für die Anforderungsanalyse damit beendet. | |
M4 | Evaluation der Workshops (AP 3.2) bis 31.09.2014 abgeschlossen. Feinanalyse des Ist- und Sollzustandes für die Anforderungsanalyse damit beendet, Identifikation Technikbedarf, Einsatzszenarien, Nutzerperspektiven und Wirtschaftlichkeit für die Sollanalyse bis 31.10.2014 abgeschlossen. | |
M5 | Planung Verbundprojekt/Vorbereitung Antrag bis 30.11.2014 Konzepte für prototypische Umsetzungsmaßnahmen für die Entwicklung von Mensch-Technik-Interaktions-Einsatzszenarien in Werkstätten für behinderte Menschen bis zum 30.12.2014 erarbeitet und mit Projektpartner CVJM-Sozialwerk Wesermarsch abgestimmt. Konsequenzen der Umsetzungsmaßnamen und Einsatzszenarien sind mit Blick auf Planung Verbund, Technologieentwicklung und Transfer (AP 2.6) bekannt. (AP 2.5 und 2.6) |
Leitung TH-Wildau AP1: Projektmanagement |
Leitung TH-Wildau, Mitarbeit: KMU AP2: Anforderungsanalyse |
Leitung TH-Wildau AP3: Evaluation |
1.1 Projekt- und Finanzcontrolling | 2.1 Interviews mit Produktionsleitung und Werkstattleitung | 3.1 Entwickeln der Evaluationsstrategie |
1.2 Unterauftrag Koop.-Partner CVJM | 2.2 Workshops mit Werkstattleitern und Behinderten | 3.2 Evaluation der Workshops |
1.3 Projektmeetings | 2.3 Identifikation Nutzerperspektiven und Wirtschaftlichkeit | 2.3 Publikationen |
1.4 Interaktive Kollaborationsplattform | 2.4 Workshop "Design Thinking" | 3.4 Teilnahme an Konferenz/Tagungen |
1.5 Begleitende Prozessmodellierung | 2.5 Entwicklung von MTI-Einsatzszenarien | 3.5 Abschlusstagung |
1.6 Berichte an Projektträger | 2.6 Planung Verbund, Technologieentwicklung, Transfer |
Prof. Dr. Margit Scholl
Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik
FBR Wirtschaft, Informatik, Recht (WIR)
Haus 100, Raum 100 – 106
Tel : +49 (0)172 321 4682 / +49(0)3375 508566
E-Mail: margit.scholl@th-wildau.de
Website: http://www.th-wildau.de/scholl